Weit zurück und doch ganz nah – eine Zeitreise im Klassenzimmer
Schüler und Schülerinnen des Arnold-Janssen-Gymnasiums im Gespräch mit der Zeitzeugin Doris Deutsch
Die Schülerinnen und Schüler der Klassenstufe 10 des Arnold-Janssen-Gymnasiums trafen im Rahmen des Geschichtsunterrichts Frau Doris Deutsch und konnten im direkten Kontakt mit ihr mehr über die Zeit des Nationalsozialismus und die Nachkriegsgeschichte erfahren.
In Zusammenarbeit mit Herrn Dr. Thomas Döring vom Adolf-Bender-Zentrum organisierte unsere Geschichtslehrerin, Frau Sabine Morsch, für uns eine Zeitzeugen-Veranstaltung mit Doris Deutsch, der Witwe des 2011 verstorbenen Auschwitz-Überlebenden Alex Deutsch.
So freuten wir uns, Frau Deutsch am 3. Februar 2016 als Gast in unserem Geschichtsunterricht begrüßen zu dürfen. Wir waren sehr gespannt, was sie uns über ihr eigenes Leben und das ihres Mannes Alex berichten würde. Daher kehrte schnell Ruhe im Raum ein, als die sympathische Frau mit ihren Erzählungen über ihren verstorbenen Mann begann.
Im Laufe der Veranstaltung erfuhren wir, wie sich Alex und Doris Deutsch kennen und lieben lernten, was sehr berührend war. Alex Deutsch war der zweite Ehemann von Frau Deutsch. Ihr erster Mann, Karl Löb, war während der nationalsozialistischen Diktatur zusammen mit Alex Deutsch in den Konzentrationslagern Auschwitz-Monowitz, Buchenwald, Langenstein-Zwieberge bei Halberstadt und im Polte-Lager in Magdeburg als Zwangsarbeiter inhaftiert, wo sich die beiden anfreundeten.
Nach Karl Löbs Tod 1971 suchte seine Witwe Alex Deutsch, der 1946 in die USA ausgewandert war, als Zeugen für die volle Anerkennung ihrer Witwenrente, da er ihren ersten Mann ja aus der gemeinsamen Zeit in den Lagern kannte. So begegneten sich Alex und Doris. Recht schnell war für beide klar, dass sie ihren weiteren Lebensweg gemeinsam beschreiten wollten. Alex Deutsch zog aus den USA ins Saarland und lebte zusammen mit Doris Löb in Wiebelskirchen. 1983 heirateten sie.
Alex Deutsch machte es sich zur Aufgabe, bei zahllosen Veranstaltungen, vor allem in Schulen, über sein facettenreiches und sehr bewegtes Leben zu sprechen, das nachhaltig geprägt war von der menschenverachtenden, gewalttätigen und mörderischen Politik der Nazis gegenüber Juden. Hautnah mussten er und seine Familie in Berlin miterleben, wie das alltägliche Leben für Juden seit 1933 immer unmöglicher wurde. Er selbst musste schließlich als Zwangsarbeiter verschiedene Arbeiten verrichten, bevor er und seine Familie 1943 nach Auschwitz deportiert wurden. Seine erste Frau Thea und ihr zweieinhalbjähriger Sohn Denny wurden sofort nach ihrer Ankunft in dem Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau vergast, was Alex Deutsch erst einige Wochen später erfuhr. Damals schwor er sich, Auschwitz zu überleben, um an den Tätern Rache zu üben.
Alex Deutsch gelang es tatsächlich, wie durch ein Wunder, den fabrikmäßigen Massenmord an den europäischen Juden, die Shoah, zu überleben. Auf die Frage, wie ihr Mann es nur schaffte, über diese Erlebnisse so offen zu sprechen, antwortete Frau Deutsch: „Es war für ihn wie eine Therapie.“ Sie merkte an: „Aber die ganz, ganz schrecklichen Sachen erzählte er nur, wenn er direkt danach gefragt wurde.“
Wir erfuhren auch interessante Details über das Leben von Alex Deutsch in Amerika, wo er 1948 seine zweite Frau Dvora Spiller heiratete und sich mit ihr gemeinsam als Besitzer eines kleinen Lebensmittelgeschäftes in St. Louis eine neue Existenz aufbaute. Doch auch hier, inmitten der Rassenunruhen nach der Ermordung von Martin Luther King, begegneten ihm Hass und Gewalt, und er wurde Opfer zahlreicher Raubüberfälle. Nach dem Tod seiner zweiten Frau kehrte Alex Deutsch 1978 wegen seiner Zeugenaussage in der Angelegenheit Doris Löb zum ersten Mal nach Deutschland zurück.
Während der Veranstaltung sahen wir uns auch den Dokumentarfilm Alex Deutsch – Ich habe Auschwitz überlebt an, der 2007 erschien. Besonders eindrucksvoll war es zu sehen, wie Alex Deutsch an der Seite seiner Frau Doris nach Auschwitz, diesen Ort des Grauens, zurückkehrte.
Frau Deutsch erzählte uns, dass ihr Mann ihr auf dem Sterbebett auftrug, seine Mission weiterzuführen und möglichst vielen Menschen seine Geschichte zu erzählen in der Hoffnung, dass sich so etwas nicht mehr wiederholt. Seine Botschaft fasste er mit den Worten zusammen: „Lasst euch nicht hineintreiben in Hass und Gewalt gegen andere Menschen. Lernt, miteinander zu leben, nicht gegeneinander!“
Franziska Bützler, Klasse 10 a und StR’in Sabine Morsch